Think Tank
Reformbedürftigkeit des Zivilprozesses:
Beobachtet man den Zivilprozess im Bau- und Architektenrecht, kann man leicht zu dem Ergebnis gelangen, dass der Zivilprozess nicht funktioniert und einer Reform bedarf.
Der Zivilprozess ist ein Parteiprozess. In ihm streiten zwei Parteien darüber, wer von ihnen Recht und wer Unrecht hat. Maßgeblich für den Ausgang des Prozesses ist das private Recht, das die Rechtsbeziehungen zwischen den am Streit beteiligten Personen regelt. Der Prozess beginnt durch die Klage der einen Partei und er nimmt Fahrt auf durch die Verteidigung der anderen Partei. Den streitenden Parteien stellt der Rechtsstaat seine Gerichte zur Verfügung. Dafür müssen die Parteien inzwischen erhebliche finanzielle Mittel aufwenden. Gemessen an dem, was sie dafür bekommen, ist der Zivilprozess möglicherweise bereits zu teuer geworden.
Ziel des Zivilprozesses
Das von der klagenden Partei angestrebte und durch seinen Antrag formulierte Ziel des Zivilprozesses ist ein Urteil gegen den Beklagten. Der Kläger setzt darauf, dass ihm der Rechtsstaat mit einem Urteil zum Erfolg verhilft und den Beklagten entsprechend seinem Antrag verurteilt. Sehr häufig ist der Antrag des Klägers auf Verurteilung des Beklagten zur Zahlung einer bestimmten Geldsumme samt Zinsen gerichtet. Der sich verteidigende Beklagte setzt im Gegenzug darauf, dass die Klage gegen ihn durch Urteil abgewiesen wird.
Funktionieren würde der Zivilprozess dann, wenn er der Intention der Parteien folgend schnell und kostengünstig für ein zutreffendes Urteil sorgen würde. Das macht er aber nicht, denn der Gesetzgeber hat den Gerichten längst zur Aufgabe gemacht, während der gesamten Dauer des Prozesses auf eine gütliche Einigung der Parteien hinzuarbeiten. Folglich fängt der Prozess mit einer Güteverhandlung an, zu der auch die Parteien zum Zwecke der Erzielung einer gütlichen Einigung erscheinen sollen. Eine gütliche Einigung entspricht dem Zeitgeist und hat für die Gerichte den Vorteil der Arbeitsersparnis. Sie müssen nicht vertieft in die Materie einsteigen und ersparen sich die ansonsten auf dem Weg zu einem Urteil anfallende juristische Prüfungsarbeit. Klar, dass Gerichte darauf setzen, dass es in den Güteverhandlungen möglichst häufig zu gütlichen Einigungen der Parteien in Form von Vergleichen kommt. Ein Vergleich bedeutet, dass beide Parteien nachgeben, also einen Kompromiss finden. Dazu werden sie aber nur bereit sein, wenn sie möglichst unsicher sind, ob sie am Ende mit ihrem Prozessbegehren Erfolg haben werden oder nicht. Gerichte haben deswegen ein Interesse daran, diese Unsicherheit der Parteien möglichst lange aufrecht zu erhalten. Die das Recht suchenden Parteien werden folglich mit einem Rechtsstaat konfrontiert, der entgegen ihrer Erwartung gar nicht die Absicht besitzt, den Rechtsstreit durch Urteil zu entscheiden. Das widerspricht aber klar dem Interesse der Parteien an einer schnellen, kostengünstigen und zutreffenden Entscheidung des Rechtsstreits. Es untergräbt das Vertrauen in den Rechtsstaat und lässt politikverdrossene Prozessbeteiligte zurück. Politikverdrossen sind sie deswegen, weil sie die Politik mit dem Staat gleichsetzen. Wir wundern uns immer über politikverdrossene Bürger. Dabei gibt es so viele Gründe dafür.
Güteverhandlung
Die Hoffnung der Gerichte auf eine Einigung der Parteien in der Güteverhandlung führt dazu, dass allein schon zwischen der Klage und der Güteverhandlung in der Regel viele Monate ins Land gehen, in denen der Prozess nicht im Sinne einer urteilsmäßigen Entscheidungsfindung bearbeitet wird. Das wäre aus Sicht der Gerichte auch verschwendete Energie, weil ja nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie die Parteien mit ihren taktischen Möglichkeiten in der Güteverhandlung zu einer Kompromissfindung motivieren können. Wenn die Parteien sich dem Wunsch der Gerichte nach gütlicher Einigung gleichwohl widersetzen, kann es ihnen passieren, dass der Prozess auch nach der Güteverhandlung nur einen sehr schleppend oder besonders kostenintensiv erscheinenden Fortgang findet. Das kann mitunter den Verdacht schüren, dass Gerichte die Parteien mürbe machen wollen, zu einem späteren Zeitpunkt doch noch zu einer gütlichen Einigung zu kommen. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem die Parteien ihre auf den Prozess gesetzten Hoffnungen begraben haben und eine gütliche Einigung dem auf nicht absehbare Zeit andauernden Prozess als das kleinere Übel vorziehen. Was für ein Desaster für Parteien, die dachten, dass ihnen der Rechtsstaat mit einem Urteil zur Seite steht.
Auf die geschilderte Art und Weise hilft der Rechtsstaat den Parteien nicht, sondern schadet ihnen.
Rechtsdurchsetzung
In Prozessen, die keine Bagatellen sind und deswegen mit vorgeschriebener anwaltlicher Begleitung vor den Landgerichten spielen, stellt der Umstand, dass eine Partei Klage erhoben hat, immer deren letztes Mittel zur Rechtsdurchsetzung dar. Längst haben dann die beauftragten Rechtsanwälte miteinander verhandelt und ausgelotet, ob es Chancen auf eine gütliche Einigung gibt, die wahrgenommen werden können. Es gab sie nicht. Deswegen wird ja die Klage erhoben. Dass sich die Gerichte dann gleichwohl auf das Zustandekommen einer gütlichen Einigung zu konzentrieren haben, missachtet den Wunsch der Parteien aber auch die Position und Leistungsbereitschaft von Rechtsanwälten, die ohnehin unzählige Rechtsstreitigkeiten von den Gerichten fernhalten, den zu Gericht getragenen Fall aus guten Gründen aber nicht. Nach der Klageerhebung wäre es dann nach Sichtweise der Parteien eigentlich die Aufgabe der Gerichte, schnell für die nötige Klarheit zu sorgen. Genau das aber geschieht nicht und das führt zu fatalen Konsequenzen.
Wenn zwei Parteien beispielsweise darum streiten, ob der einen Partei für Bau- oder Planungsleistungen für ein Bauvorhaben noch eine Vergütung von 500.000 Euro zusteht oder nicht, dann können die Parteien es sich in der Regel wirtschaftlich nicht leisten, den Streit darüber jahrelang vor sich herzuschieben. Fehlt dem Kläger das Geld, weil es ihm in Wirklichkeit zusteht, dann muss er sich teils über mehrere Prozessjahre hinweg mit Überbrückungsfinanzierungen behelfen. Gelingt ihm das nicht, kann das seinen wirtschaftlichen Ruin bedeuten. Ist der Beklagte zu Unrecht in Anspruch genommen, muss er gleichwohl für mehrere Jahre wegen des unsicheren Prozessausgangs Rückstellungen in entsprechender Höhe bilden, was auch seine wirtschaftlichen Verhältnisse in sehr negativer Weise beeinflussen kann.
Weiß ein Beklagter um seine schlechten Prozesschancen, kann er gleichwohl auf den Moment warten, in dem ihm das Gericht mit seinem Bemühen um einen Kompromiss in die Hände spielt. Eine Verzinsung muss er im Falle eines Vergleichsabschlusses in der Regel nicht befürchten.
Gerichte, die sich lange Zeit mit gütlichen Einigungen der Parteien beschäftigen, haben vielleicht nie den Blick in dem erforderlichen Maße auf eine Entscheidung durch Urteil gelegt und können das mit zunehmender Prozessdauer auch nicht mehr ungeschehen machen. Viel Zeit, Kosten und Kapazitäten werden auf diese Art und Weise verschwendet. Und, was noch viel schlimmer ist, der Zivilprozess ist auf diese Art und Weise nicht dazu in der Lage, einen Fall im Gleichklang mit den wirtschaftlichen Bedürfnissen der Partei, die in Wirklichkeit im Recht ist, zu lösen. Was zurückbleibt, ist Verbitterung über einen Rechtsstaat, den man als nicht funktionierend betrachtet.
Reformmöglichkeit
Eine sinnvolle Reformmöglichkeit könnte sich darüber ergeben, dass die Parteien in ihrem Parteiprozess vor den Landgerichten selbst darüber entscheiden, ob sich das Gericht um eine gütliche Einigung bemühen oder von Anfang an alle Energie für eine schnelle Entscheidung durch Urteil einsetzen soll. Diese Entscheidung kann von den beauftragten Rechtsanwälten, die die Verhältnisse der Parteien in der Regel viel besser kennen als die Gerichte, verantwortungsvoll begleitet werden. Sie sind ohne weiteres in der Lage dazu, die üblichen gerichtlichen Argumente für eine gütliche Einigung mit den Parteien zu erörtern. Hat eine Partei oder haben beide Parteien erklärt, keinen Versuch einer gütlichen Einigung zu wünschen, dann wäre es fortan die Aufgabe des Gerichts, für eine möglichst schnelle Klarheit durch Urteil zu sorgen. Alle Prozessbeteiligten könnten sich dann von Anfang an auf die rechtlichen Fragestellungen und deren zügige Abarbeitung konzentrieren und müssten keine Scheindebatten über gütliche Einigungen führen. Auch käme es zu keinen konfrontativen Positionen zwischen Parteien und dem Gericht darüber, ob es zu einem Urteil oder zu einer gütlichen Einigung kommen soll. Die Arbeitsstimmung wäre insgesamt besser, weil alle Beteiligten das gleiche Ziel verfolgen. Wer gewinnt ist damit nicht gesagt, nur dass der Rechtsstaat dem mit der Klage oder der Verteidigung geäußerten Wunsch der Parteien nach Herstellung eines Urteils nachkommt und damit im Sinne der von den Parteien erwarteten Hilfestellung funktioniert.
Im Zivilprozess gibt es viele Problemlagen. Es ist nicht Sinn des Beitrags, sie alle anzusprechen oder zu lösen. Mit seinem Ziel, in Zivilprozessen stets auf gütliche Einigungen hinzuarbeiten, arbeitet der Rechtsstaat aber jedenfalls an den Erwartungen der Prozessparteien vorbei. Wenn die Parteien die Vermittlung einer gütlichen Einigung durch das Gericht wollen, können sie das äußern. Machen sie das nicht, sollte der Rechtsstaat um eine schnelle gerichtliche Klärung durch Urteil bemüht sein. Andernfalls versagt er in den Augen der Parteien. Die Anzahl von Vergleichen in Zivilprozessen ist eine statistische Größe, die nichts über die tiefgreifende Unzufriedenheit der Parteien, die damit einhergeht, aussagt. Wir dürfen uns am Ende nicht wundern, wenn sich die Menschen abwenden.